Barfuß und Wild

Interview mit Jan Frerichs im Vorlauf zum Männertag 2022

Jan, Du bist von Haus aus Journalist und hast lange beim ZDF gearbeitet. Was hat dich veranlasst, mit „Barfuss und Wild“ eine (franziskanische) Lebensschule aufzubauen?

Die Lebensschule ist der spirituelle »Rastplatz«, den ich selbst gut hätte brauchen können, als mein Leben im Umbruch war. Die Initiation bei Richard Rohr hat mich auf die Visionssuche gebracht und die hat mich nicht nur persönlich weiter gebracht, sondern ist auch eine Form gewesen, in der meine franzikanische Schöpfungsspiritualität nicht bloß Theorie und Ideal war, sondern einen praktischen und sinnvollen Ausdruck gefunden hat. Ich wusste: Das will ich tiefer erforschen und auch weitergeben und so ist die Lebensschule entstanden. Erst nebenberuflich und jetzt hauptberuflich.

Unser Leben ist ja meist geordnet und gesichert. Was bedeutet . „Barfuss –und wild“ für Menschen, die in der Zivilisation leben? Ist das eine Aufforderung, die Sicherheit aufzugeben?

Nein, es geht nicht darum, etwas aufzugeben, sondern darum, den Horizont zu erweitern. Einstein soll mal gesagt haben: »Wir werden die Probleme von morgen nicht mit dem Bewusstsein von heute lösen«. Die Zivilisation symbolisiert den Bereich, wo wir die Kontrolle haben - zumindest fühlen wir uns relativ sicher in diesem Bereich. Die Wildnis steht für den Bereich, den wir nicht unter Kontrolle haben. Aber die Wildnis beginnt ja nicht erst irgendwo in den unberührten Wäldern Kanadas, sondern schon in meinem Körper: Gott sei Dank hängen zum Beispiel meine Atmung und mein Herzschlag nicht von meinem Bewusstsein ab. Und wir bestehen auch nur zu einem kleinen Teil aus Bewusstsein, der größte Teil unseres Selbst liebt im Unbewussten. Wenn wir wachsen und reifen wollen, dann müssen wir diese Bereiche einbeziehen. Und das gilt persönlich und kollektiv. Und Menschen sind schon immer in die Natur gegangen, um sich weiterzuentwickeln, Wegweisung zu suchen und Inspiration zu finden. Mose hat den Dornbusch auch nicht im Vorgarten gefunden, sondern in der Wüste auf heiligem Boden - barfuß übrigens. Wer also in eine Auszeit geht, sucht in diesem Sinne nach einer Dornbusch-Begegnung, aber nicht, um dort zu bleiben, sondern um mit den Erkenntnissen und Erfahrungen zurückzukehren und seinen Platz einzunehmen in der Welt - auch in der Zivilisation.

Bei den EREMOS-Wochen die in der Fastenzeit online stattfinden oder bei der „Wilden Weisheit“ nehmen mehrere Hundert Personen teil . Was suchen die Menschen heute und was finden sie bei Barfuß und wild?

Ich glaube, alle gemeinsam sind froh, einen Ort gefunden zu haben, an dem sie wirklich ernst genommen werden als Erwachsene in ihrer persönlichen und spirituellen Entwicklung. Klingt theoretisch, aber ich meine das ganz praktisch: Es gibt wirklich wenige spirituelle Angebote für Erwachsene, in denen sie in ihrer Autonomie angesprochen werden. Die Antworten auf Lebensfragen, die sie sich stellen, kommen ja nicht von außen, indem ich noch diese oder jene Technik erlerne oder bloß irgendein Wissen aufsammle, sondern sie kommen aus einem tiefen inneren Wissen, das wir besser bezeichnen können mit dem Begriff »Weisheit«. Erwachsene brauchen keine Ratschläge, aber durchaus »Räume«, in denen sie zu dieser Weisheit gelangen können. Und die Quest ist so ein Raum - und letztlich zielen alle unsere Seminare darauf, solche Räume zu gestalten und anzubieten. Wir leben allerdings in einer Kultur, die für Weisheit und solche Räume wenig übrig hat und Ältestenschaft für eine Art Krankheit hält.

Du entwickelst im Anschluss an Franz von Assisi eine „Schöpfungsspiritualität“. Hast Du den Eindruck, dies diese Art Spiritualität für Männer anschlussfähiger ist als die klassischen Formen der Kirche? Viele Männer fühlen sich ja heute spirituell heimatlos und verlassen die Kirche.

Vielleicht gilt das, was meiner Meinung nach für Erwachsene generell gilt, für Männer noch einmal verschärft, weil es so wenige Vorbilder gibt. Es mangelt einfach an Ältesten, die eine natürliche (spirituelle) Autorität verkörpern. Und das gilt besonders für Männer-Älteste. Ist ja auch nicht verwunderlich, wenn wir in die jüngere Geschichte schauen, in der die Väter und Großväter von zwei Weltkriegen und den Folgen traumatisiert sind.

Die Kirche als Institution und die spirituelle Entwicklung in den Gemeinden und Ortskirchen steckt ja vielfach noch tief im 19. Jahrhundert fest. Da geht es meistens um Kirche an sich und den Selbsterhalt als religiöse Gruppe oder Institution. Das beantwortet leider keine einzige Lebensfrage. Und die Priester, die ja »Älteste« sein sollen oder wollen, treten leider vielfach als Funktionäre in Erscheinung. Wen soll das überzeugen?

Schöpfungsspiritualität könnte eine Türöffnerin sein und wenn man sich umschaut, gibt es viele Aufbrüche.

Ein zentrales Element Deiner Arbeit bei Barfuss-und wild ist die „Quest“ – also die Visionssuche in der leibhaftige Begegnung mit der Natur über mehrere Tage. Daran nehmen Frauen und Männer teil. Ist es für Männer eine besondere Herausforderung, sich so offen der „Mutter Erde“ auszusetzen – nichts zu machen?

Ja, bei Männern scheint mir wichtig, nicht auf der pädagogischen Ebene stehen zu bleiben, denn Schöpfungsspiritualität bzw. speziell die Quest ist kein Survival-Training oder eine Form der Erlebnispädagogik. Es geht darum, dass sich auch Männer auf einen inneren Weg der Transformation und der Reifung wagen, denn die Welt braucht echte Älteste.

Das »Nichts machen« ist Bestandteil aller Initiationsriten, die ich kenne, vor allem für Männer, weil sie immer Gefahr laufen, sich mit dem zu identifizieren, was sie eben machen und schaffen.

Bei der Quest geht es darum, in die Leere zu gehen.

Beim Männertag haben wir ja nicht genügend Zeit für eine „Quest“. Worauf können die Männer, die in Untermarchtal teilnehmen, trotzdem freuen? Gibt es die Quest im Kleinformat? Was wird die Herausforderung sein?

Nein, Quest gibt es nicht in Kurzform, sozusagen als Fast-Food-Variante. Es macht natürlich einen Unterschied, ob ich 96 Stunden, also vier Tage und vier Nächte, draußen verbringe oder ob ich nur eine oder zwei Stunden draußen bin.

Und natürlich passiert auch in ein oder zwei Stunden nicht nichts, denn letztlich kommt es nicht auf die Quantität an, sondern auf die Qualität der Auszeit. Insofern besteht die Möglichkeit, auch in der kürzeren Auszeit die Qualität zu berühren, um die es in der Quest geht, nämlich einmal zu schmecken, was es heißt, wenn die Seele berührt ist und wenn ich mit dem in Kontakt komme, was wir das wahre oder auch tiefe Selbst nennen.

Herzlichen Dank, Jan! Ich freue mich auf den Männertag mit Dir im Oktober in Untermarchtal!

Die Fragen stellte Christian Kindler

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