Tun und Lassen - eine Frage der praktischen Philosophie

Der Philosoph Fabian Erhardt wird beim 78. Männertag der Diözese 2023 Impulsgeber und Gesprächspartner sein. Christian Kindler stellt ihm ein paar Fragen zur Einstimmung auf das Thema und zum Kennenlernen der Person.

Fabian, die Menschen sehen sich heute vor gewaltigen Herausforderungen: Klima, Krieg, Migration, … Wie hilft uns und Dir persönlich die Philosophie dabei, gesellschaftlich, sozial aber auch emotional „über Wasser“ zu bleiben?

Menschen sind für mich Wesen, die Sinnressourcen brauchen. Unsere Instinkte funktionieren zwar noch in einem gewissen Umfang, aber sie reichen nicht aus, um uns in der Welt zu verorten. Georg Lukács spricht bezüglich der Situation von uns Menschen von „transzendentaler Obdachlosigkeit“, das gefällt mir gut. Mythos, Tragödie, Kunst, Philosophie, Religion und Wissenschaft scheinen mir die zentralen Sinnressourcen des Menschen, um mit unserer grundsätzlichen Fragwürdigkeit umzugehen. Jede hat ihre Vorteile, jede hat ihre Nachteile. Philosophie hilft mir, und ich denke auch uns, dadurch, dass wir mit ihrer Hilfe verstehen können, in welcher Situation wir eigentlich genau stecken: Weshalb tun wir uns so schwer damit, die Konturen und Koordinaten unserer existenziellen Herausforderungen in den Blick zu bekommen? Inwiefern sind wir Menschen nicht nur in Probleme, sondern auch in Rätsel verstrickt? Welche Hinweise und Spuren bietet die philosophische Tradition, um Sorge für sich selbst, für andere und für die Sache der Erkenntnis zu tragen?

Du beschäftigst Dich schon viele Jahre mit „praktischer Philosophie“, also wohl auch mit „Lebenskunst“. Welche Rolle spielt dabei die Frage von „Tun oder Lassen“?

Mit beiden Begriffen – „praktische Philosophie“ und „Lebenskunst“ – tue ich mich schwer. Ich fange eigentlich „einfacher“ an: Mich interessiert, wie sich etwas im Rahmen unserer Erfahrung konkret meldet. So auch bei Fragen von „Tun oder Lassen“: Sie zeigen sich als unruhige Dauerthemen, die ständig durch unsere Erfahrung flimmern. Es kann kaum gezählt werden, wie oft pro Tag die Frage danach, ob ich hier und jetzt eher etwas tun oder etwas lassen soll, kurz auftaucht, aufsässig wird, und wieder verschwindet – entweder weil wir uns entscheiden, oder weil irgendetwas passiert, das die Frage löst. Und dieser Befund betrifft lediglich die alltäglichsten Dimensionen unserer Erfahrung.

Im biographischen Maßstab treibt uns eine Frage, ob wir etwas tun oder lassen sollen, manchmal Jahre um. Die Fragen von „Tun und Lassen“ scheinen mir wichtige Hinweise zu geben, wie Erfahrung eigentlich „funktioniert“: Da sind nicht einfach irgendwelche Situationen, Menschen und Gegenstände. Was in unserer Erfahrung passiert, hängt ganz wesentlich davon ab, was wir tun und was wir lassen.

Der Soziologe Harald Welzer meint, dass uns eine „Kultur des Aufhörens“ fehlt. Wie siehst Du das: schauen wir – insbesondere als Männer— zu viel auf das Tun und zu wenig auf das Lassen?

Hier scheint es mir wichtig, kurz zu klären, was wir eigentlich mit „etwas lassen“ meinen. Denn einfach nur lassen, das können viele: keine Lust auf etwas haben, keine Sorge um sich selbst tragen, wichtigen Menschen die gelebte Zuneigung und Anerkennung verweigern. Dieses Lassen ist einfach. In unserem Kontext meinen wir es ja durchaus etwas emphatisch, also in dem Sinne: das Irrelevante lassen, das Relevante tun— Urteilskraft, was zählt.

Für Männer heißt das oft: Welchen „Bildern“, welchen „Symbolen“, und auch welchen „Dingen“ hänge ich an, was brauche ich, um mich ausreichend als Mann zu fühlen? Und das ist in der Regel eine Menge. Mann-Sein können, und Mann-Sein auch genießen können, ohne zu viel – ich sage nicht: ganz ohne – symbolischen und materiellen Ballast, das scheint mir das Lassen zu sein, mit dem wir es hier zu tun haben.

Meister Eckhart gilt als „Erfinder der Gelassenheit“.  Sein Konzept entwickelte er im 14. Jahrhundert. Ist Gelassenheit  in der Welt von heute noch eine angemesse Haltung?

Gelassenheit zeigt für mich eine grundlegende Möglichkeit unserer Erfahrung an und ist somit angemessen, solange unsere Erfahrung eine menschliche ist. Aufgrund der Instinktunsicherheit, in der wir leben – wir brauchen sehr viel Informationen, die nicht aus den Instinkten stammen –, besteht ständig Gefahr, die damit einhergehende chronische Unruhe, die in unserer Erfahrung herrscht, durch Tun zu „überspringen“. Gelassenheit bedeutet, die Unruhe als Unruhe „lassen“ zu können, ohne sicher wissen zu können, was dann passiert. Interessanterweise führt es bei vielen zu mehr Ruhe, die Unruhe lassen zu können, statt sich von ihr abzulenken. Es gäbe viel zu sagen darüber, was im Zuge der Gelassenheit in unserer Erfahrung alles passieren kann.

Deinen Workshop beim Männertag hast Du: „Vom fröhlichen Loslassen“ überschrieben. Das klingt heiter, aber auch ein wenig subversiv. Was für einen „fröhlichen“ Impuls können sich die Männer von Dir erwarten?

Wer sich vor allem auf wirklich Relevantes richtet, gewinnt. Das ist kein Verzicht. Das mag erstmal so scheinen, wegen tiefsitzender Gewohnheiten und Sinnroutinen. Ohne ein Mindestmaß an guter Laune und ohne eine gewissen Überschuss an Mut gegenüber den Zumutungen, die uns als Menschen auf die Probe stellen, ist es kaum möglich, lassen zu lernen. Da muss ich gerade an eine Formulierung Peter Sloterdijks denken: Der Mensch hat das Recht auf eine Laune, die besser ist als die Lage.

Vielen Dank, Fabian! Dann hoffe ich auf ein hohes Maß an guter Laune und freue mich auf spannende Gespräche mit Dir beim Männertag in Untermarchtal!

Das Interview zum downlaod auch im Info-Brief (pdf)...

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